von Charlotte Schrimpff, Leipziger Volkszeitung
Auf seiner USA-Tournee reißt das Gewandhausorchester in Costa Mesa die Zuhörer von den Sitzen.
Und wieder steht ein Saal. Freitagabend heißt der „Renée and Henry Segerstrom Concert Hall“ und hat 2000 Plätze. 1500 davon sind besetzt. Bravi beenden bereits die Ouvertüre und nach der Zugabe, Ludwig van Beethovens „Egmont“ op. 84, kennt der Taumel keine Grenzen. Das Gewandhausorchester gibt sein drittes Tourneekonzert und erlebt dabei den dritten Triumph.
Südlich von Los Angeles, in Costa Mesa. Was sich in etwa mit „Küstenplateau“ übersetzen lässt, selbst da die Stadt gar nicht richtig am Wasser liegt – bis zu den Stränden in Newport und Huntington sind es durchaus noch ein paar Meilen. Manche sprechen darum lieber vom „Künste-Plateau“, was die Sache tatsächlich besser trifft. Das „Orange County Performing Arts Center“ ist ein Begriff über die Region hinaus, in den insgesamt vier Sälen verschiedenster Bestuhlung ist von Oper, Musical über Jazz und Theater im Prinzip alles möglich.
Möglich deshalb, weil es Renée und Henry Segerstrom gibt. Ihr Vorfahr, Carl Segerstrom, ein Schwede, begründete den Familienwohlstand 1900 mit dem Kauf einer Farm für Limabohnen. An deren Stelle steht inzwischen das zweitgrößte Einkaufszentrum der Vereinigten Staaten, die South Coast Plaza von 1967 mit einem Jahresumsatz von über einer Milliarde Dollar. Den Segerstroms gehört außerdem eins der größten Immobilien-Unternehmen Kaliforniens und, gewissermaßen, der genannte Kunstkomplex am Town Center Drive. Sie spendeten das Grundstück und sie finanzieren einen Großteil des kulturellen Betriebs dort. Eine Art amerikanischer Traum.
Das Gewandhausorchester spielt auch in der zweitgrößten der Stätten, deren Akustik Russell Johnson konzipiert hat – niemand geringerer also als der Kreateur jener akustischen Anpassbarkeit, die man aus dem Haus in Luzern kennt und in Birmingham schätzt – unter anderen, selbstverständlich.
Es ist ein eleganter Saal, mit hellem Holz und Samt auf den Sitzen, ein Rotton, der fast schon ein bisschen ins Orange sticht. Drei Emporen schmiegen sich in weichen weißen Wellen an die Wände, die Orgel ist ein Rechteck, schlicht, silbern und mit Stil.
Zur Probe noch, als bloß ein paar Kollegen in den Reihen sitzen und darauf warten, dass Riccardo Chailly Antonín Dvoràks Neunte anspielen lässt oder, wie am Vorabend, Mendelssohns Violinkonzert, klingt er laut und ungefiltert, fast ein bisschen überdirekt. Später dafür, als alle Fräcke tragen und das Publikum samt Garderobe die unschönsten dieser Härten schluckt, ist er das, was ein guter Saal zu sein hat: Instrument des Dirigenten. Wäre also noch mehr Zeit gewesen zum Probieren, hätte sicherlich nicht nur Lukas Beno den idealen Ferntrompeten-Platz gefunden, sondern Chailly Möglichkeiten und Mittel, die Sinfonie auch auf den Rängen so klingen zu lassen wie es im Parkett geklungen hat: Fundamental.
Autor: Dirk Steiner